Superschnelle Anpassung – aber keine Höherentwicklung

Ein kritischer Blick auf ein neues ARTE-Video zu „Darwins Express: Evolution in Rekordzeit“ zeigt: Was aussieht wie Evolution ist das Abrufen programmierter Optionen.

In einem aktuellen Video des Fernsehsenders ARTE (2025)* wird eindrucksvoll dargestellt, wie rasch Tiere und Pflanzen auf Umweltveränderungen reagieren können. Veränderungen und Anpassungen vollziehen sich in kürzester Zeit – in einigen Fällen innerhalb weniger Generationen. ARTE spricht in diesem Zusammenhang von einem „Darwins Express“ – von superschneller Evolution. Doch so faszinierend diese biologischen Anpassungen auch sind: Sie haben nichts mit Evolution im klassischen, darwinistischen Sinn zu tun – also mit der Entstehung neuer Baupläne, Funktionen oder genetischer Information.

Schnelle Reaktionen statt Neuerfindungen

Aus Südamerika stammende Aga-Kröte (Rhinella marina, Bildquelle: Wikipedia, Froggydarb, CC BY-SA 3.0).

Das Video zeigt eine Reihe gut dokumentierter Fälle:

In Australien hat sich die aus Südamerika eingeschleppte Aga-Kröte innerhalb weniger Jahrzehnte an neue Bedingungen angepasst. Die Tiere bewegen sich schneller, ermüden langsamer und verbreiten sich effizienter als ihre Vorfahren.

In Kanada schrumpfen bei Mufflons die Hörner, weil Tiere mit größeren Hörnern stärker bejagt werden.

In Alaska werden Lachse kleiner, weil die großen Exemplare durch den Fischfang aus der Population entfernt wurden.

In Mosambik bringt Wilderei vermehrt Elefanten ohne Stoßzähne hervor – ein klarer Überlebensvorteil für Tiere ohne dieses auffällige Merkmal.

Und auf Puerto Rico haben Anolis-Echsen in kurzer Zeit größere Krallen und kräftigere Vorderbeine entwickelt, um sich auf glatten Oberflächen besser festhalten zu können.

Diese Beispiele sind eindrucksvoll, doch genetisch gesehen entsteht hier nichts grundlegend Neues – veränderte Umweltbedingungen sind Auslöser dafür, Merkmalsausprägungen abzurufen, die bereits im Genpool vorhanden sind. In vielen Fällen spielt auch Genregulation eine Rolle: Die vorhandene DNA wird unterschiedlich genutzt, je nach Umwelteinfluss.

Grob irreführend ist im Video in diesem Zusammenhang der Sprung von einem Beispiel zur Farbveränderung zur Entstehung des aufrechten Gangs, der durch ein Transposon (springendes Gen) begünstigt worden sein soll. Das ist ungefähr so, als würde man sagen, die Entstehung des Fernsehers wurde durch Implementierung des An/Aus-Knopfes begünstigt.

Ein fragwürdiges Darwin-Bild

Das Video bemüht immer wieder Darwin – doch oft auf fragwürdige Weise. So wird behauptet, Darwin sei durch die „Darwin-Finken“ zur Evolutionstheorie inspiriert worden. Tatsächlich hatte Darwin gar nicht systematisch dokumentiert, von welchen Inseln die gesammelten Vögel stammten. Die spätere korrekte Bestimmung verdankt sich der Arbeit anderer Forscher.

Unter anderem auf Karibik-Inseln beheimatete Anolis- Eidechse (Anolis sagrei, Bildquelle: pixabay).

Noch problematischer ist die Behauptung, dass vor Darwin „alle“ an die Unveränderlichkeit der Arten geglaubt hätten. Schon im 18 Jahrhundert hatte Carl von Linné eine gewisse Entwicklungsfähigkeit innerhalb von Gattungen angedeutet. Lamarck entwickelte sogar eine eigene Theorie, in der erworbene Eigenschaften vererbt werden – eine Idee, die Darwin später wieder aufgriff. Der Gedanke der Veränderung war also längst im Umlauf, bevor Darwin seine These formulierte.

Evolution sollte eindeutig definiert werden

In der Definition von „Evolution“ bleibt das Video äußerst vage – oder irreführend. Eine Aussage lautet sinngemäß: Wenn eine Eigenschaft erfolgreicher ist als eine andere, wird sie sich durchsetzen – das sei Evolution. Doch dies beschreibt lediglich das Prinzip der Selektion, nicht die Entstehung neuer Merkmale. Es wird nichts „entwickelt“, sondern nur angereichert.

Selbst die oft zitierte genetische Vielfalt wird im Video falsch erklärt: „Transkriptionsfehler“ werden als Quelle der Vielfalt bezeichnet – obwohl diese Fehler nur während der RNA-Bildung auftreten und nicht vererbbar sind. Tatsächlich entstehen erblich relevante Veränderungen nur durch Mutationen während der DNA-Replikation, insbesondere in Keimzellen. Ein wesentlicher Unterschied, der in einer seriösen Darstellung nicht unter den Tisch fallen sollte.

Epigenetik – wirklich Evolution?

Gegen Ende des Videos wird ein faszinierendes Phänomen angesprochen: sogenannte „Evolution ohne Mutation“. Gemeint ist damit etwa das Verhalten der Spitzen Blasenschnecke, die bei erhöhter Gefahr, von Fressfeinden erbeutet zu werden, eine dickere Schale ausbildet. Diese Reaktion kann sogar an die nächste Generation weitergegeben werden – ohne Veränderung des Erbguts.

Verantwortlich sind hier epigenetische Mechanismen: Die Aktivität bestimmter Gene wird durch Umweltreize beeinflusst. Das Erbgut selbst bleibt unverändert, lediglich seine Nutzung wird geändert. Auch das ist biologisch interessant, doch es bleibt bei einer (kurzfristigen) Anpassung innerhalb gegebener Grenzen. Mit echter Höherentwicklung hat das nichts zu tun.

Ein weiteres Beispiel ist das Acker-Stiefmütterchen (Viola arvensis), das bei Insektenmangel zur Selbstbefruchtung übergeht – ein Anpassungsschritt, der allerdings zu reduzierter genetischer Vielfalt und damit zu langfristiger Schwächung führt. Auch hier zeigt sich: Anpassung kann auch Rückbau bedeuten – nicht Fortschritt, sondern Spezialisierung.

Fazit: Anpassung ≠ Evolution

Das Fazit ist eindeutig: Die im Video gezeigten Beispiele belegen keine Evolution im klassischen Sinne. Sie zeigen Selektion, Genregulation, epigenetische Reaktionen – aber keine Entstehung neuer biologischer Information, keine neuen Strukturen, keine Neuerfindungen. Die „Express-Evolution“ beruht auf dem Abrufen vorhandener Programme. Das ist keine gute Nachricht für Evolutionsbiologen, denn woher kommen diese Programme?

Interessant ist auch die Formulierung: Transposons als „Zauberstäbe der Evolution“ (29:15). Es ist schon erstaunlich, dass in einem naturalistischen Szenario Zauberei als Bild verwendet wird. Das Video verfehlt damit sein eigentliches Ziel: Statt die Stärke der Evolutionstheorie zu demonstrieren, illustriert es unbeabsichtigt deren Grenzen. Anpassung ist Realität – doch sie ist nicht gleichzusetzen mit der Entstehung neuer Baupläne. Wer solche Prozesse unterschiedslos als „Evolution“ bezeichnet, verwischt nicht nur wissenschaftliche Begriffe, sondern verzerrt auch die öffentliche Wahrnehmung.

Peter Borger* (mit freundlicher Genehmigung von Wort und Wissen

*Das Video in der ARTE-Mediathek: Darwin Express: Evolution in Rekordzeit

Viele weitere Informationen finden Sie im aktuellen Info von Wort und Wissen.

*Peter Borger (MSc, PhD) studierte Biologie mit den Schwerpunkten Biochemie und Molekulargenetik. Er lehrte und forschte u. a. an den Universitäten Groningen (Niederlande), Sydney (Australien), Basel und Zürich (Schweiz). Als Experte im Bereich Molekularbiologie von Genexpression und Signaltransduktion hat er über 70 Artikel in führenden internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht.

Das Foto über diesem Beitrag zeigt das Denkmal von Charles Darwin in London (Quelle: Pixabay).